Nils Reich arbeitet als Kundenberater bei der AKB Muri. Seine gesamte Freizeit investiert er in den Bobsport, wo er in die Fussstapfen seines erfolgreichen Vaters Christian treten und an Olympischen Spielen teilnehmen will.
Man muss schon etwas verrückt sein, wenn man sich wie Nils Reich in einem Bob mit Vollgas den Eiskanal hinunterstürzt. Die einzige Auflagefläche auf dem aalglatten Kanal sind die vier Kufen des Schlittens – glattgeschliffen und nur rund 4,5 Millimeter breit. Die hinteren beiden fest fixiert, die vorderen steuerbar mit zwei Lenkseilen, die Nils Reich in den Händen hält. Wobei steuern relativ ist. Denn eigentlich will Nils Reich die Seile so wenig wie möglich benutzen. Jedes Ziehen am Seil stellt die vorderen Kufen quer und bremst damit den Schlitten.
Darum gilt: So wenig wie möglich lenken. Dafür braucht es sehr viel Fingerspitzengefühl und Intuition. Denn bei Geschwindigkeiten von bis zu 140 Kilometern pro Stunde kann das Lenken gar nicht immer so umgesetzt werden, wie man sich das bei der Besichtigung vorgenommen hat. Etwa 50 Fahrten und viele Stunden akribisches Auswendiglernen jeder einzelnen Kurve sind nötig, bis Nils Reich eine neue Bobbahn beherrscht. «Den Eiskanal mit solch hohen Geschwindigkeiten runterzufahren, ist ein absoluter Adrenalinkick. Dieses Tempo und die Tatsache, dass ich es selbst in der Hand habe, möglichst schnell ins Ziel zu kommen, sind ein unbeschreibliches Gefühl», sagt Nils Reich.
Dass Nils Reich beim Bobsport gelandet ist, scheint auf der Hand zu liegen. Schliesslich war sein Vater Christian einer der erfolgreichsten Schweizer Bobfahrer überhaupt. An vier Olympischen Spielen hat er teilgenommen, 2002 gewann er sogar die Silbermedaille im Zweierbob. Doch im Fall von Nils Reich war es anders. Sein grosses Hobby war über viele Jahre nicht der Bobsport, sondern der Fussball. Und auch dort war Reich, der auf der Position des Torhüters spielte, auf gutem Weg. Er spielte im Nachwuchs des FC Aarau und des FC Wohlen und bestritt gar einige Einsätze in der ersten Mannschaft des FC Wohlen in der
1. Liga – im Alter von 17 Jahren.
Irgendwann reizte es ihn dann aber doch, die Sportart seines Vaters auszuprobieren. In St. Moritz absolvierte er mit ihm eine «Taxifahrt». «Ich weiss noch, dass ich brutal nervös war vor der ersten Fahrt. Du hast ja schliesslich nicht viel Schutz um dich herum. Aber sobald wir losfuhren, war alles weg. Ich konnte es einfach nur geniessen», beschreibt Nils Reich seine erste Bobfahrt. Seither hat ihn die Faszination für den Bobsport gepackt und nicht mehr losgelassen. Die Fussballschuhe hat er an den Nagel gehängt und er gibt nun im Bobsport Vollgas.
Noch steht Nils Reich ganz am Anfang seiner Karriere. Erst seit der vergangenen Saison ist er Mitglied des Nachwuchs-Nationalkaders und hat diesen Winter seine erste komplette Saison bestritten. Rund zwölf Wochen verbrachte er dafür im Ausland – primär für Trainings. Norwegen, Deutschland, Österreich und Frankreich waren die Destinationen. Das Ziel: Erfahrungen sammeln. «Ich will möglichst viele Strecken kennenlernen und Fahrten machen», erklärt Nils Reich. Bereits in der vergangenen Saison durfte er – früher als ursprünglich geplant – seine ersten Europacup-Einsätze absolvieren und an den Junioren Europameisterschaften teilnehmen. 2027 sollen dann die ersten Starts im Weltcup folgen, und 2030 will Nils Reich – wenn alles gut läuft – an den Olympischen Spielen teilnehmen.
Die Olympischen Spiele sind der ganz grosse Traum von Nils Reich. Dafür investiert er sehr viel: Bis zu 15 Stunden trainiert er pro Woche. Drei Sprint- und drei Krafttrainings stehen jeweils auf dem Programm. Und dann natürlich noch regelmässige Besuche auf der Anschiebebahn auf dem Kerenzerberg, wo sich das nationale Trainingszentrum befindet. Hier kann Nils Reich insbesondere die Starts simulieren, die im Bobsport entscheidend sind. In einem Holzhaus, etwas abseits gelegen von den Hauptgebäuden, befindet sich die Anschiebebahn. Nach einem ausgiebigen Aufwärmen übt Nils Reich hier den Start. Die Nagelschuhe fest in die Tartanbahn gedrückt, den Blick fokussiert nach vorne, die Hände fest um den Einstiegbügel gelegt. Mit einem gewaltigen Ruck schiebt Nils Reich den mit Gewichtsscheiben vollgepackten Wagen an. Mit voller Kraft beschleunigt er ihn auf der leicht abfallenden Startbahn. 40 Meter Vollgas, ein Sprint am absoluten Limit. Bis zu neun solcher Starts absolviert Nils Reich in einem Training.
Wer im Bobsport erfolgreich sein will, der muss aber nicht nur körperlich an seine Grenzen gehen, sondern auch handwerklich versiert sein. Jeder Bobfahrer ist nämlich für seinen eigenen Schlitten zuständig. Für einen Bobpiloten und seine Anschieber gehören Kufen polieren, Kufen schleifen, den Bob für jede Bahn perfekt einstellen und den kompletten Service machen zum Alltag. Letzteres kann gut und gerne einen ganzen Tag in Anspruch nehmen. Der Bob von Nils Reich steht in Künten in der Garage seiner Grossmutter. Hier verbringt er viele Stunden mit Schrauben.
Und wenn neben dem Training, dem Mechaniker-Job und der Arbeit bei der AKB noch Zeit bleibt, nutzt Nils Reich diese, um seine Trainings zu organisieren, seine Anschieber zu koordinieren und Sponsoren zu finden. Rund 50 000 Franken kostet eine Saison, die er teilweise selbst finanzieren muss. «Als Bobfahrer musst du in vielen verschiedenen Bereichen gut sein und führst quasi ein eigenes kleines Unternehmen», erzählt Nils Reich. Diese Vielfalt ist ein weiterer Aspekt, der den Bobsport für Nils Reich so faszinierend macht.