Zwei Mal pro Stunde – immer um 10 vor und um 20 nach – fährt der Elektrobus der Linie 8 die Haltestelle «Wettingen Bushof» an. Der Bus hält präzise unter dem rot-weissen Senk-Pantografen, eine Art L-förmiger Kran, dessen Arm über das Fahrzeug ragt. Die Fahrgäste steigen aus und der Pantograf senkt ein metallenes Gestänge ab. Dieses dockt am Elektrobus an und beginnt, dessen Batterien zu laden. Vier Minuten dauert der Stopp gemäss Fahrplan. Dann wird der Bus wieder entkoppelt und fährt los in Richtung Neuenhof.
Die Haltestelle «Wettingen Bushof» ist eine von drei im insgesamt 337 Haltestellen umfassenden Netz der RVBW, die einen solchen Pantografen besitzen und damit als sogenannte Gelegenheitsladestelle genutzt werden können. Die beiden anderen stehen in Ennetbaden und auf der Baldegg in Baden. Dank diesen Haltestellen können die Buslinien 5 und 8 komplett mit Elektrobussen abgedeckt werden.
Das ist aber erst der Anfang des ambitionierten «Elektrifizierungsprojekts» der RVBW. «Wir wollen bis 2030 alle 67 Busse umgerüstet haben», sagt Direktor Stefan Kalt. 2018 war es, als an einer Strategiesitzung des Verwaltungsrats aus der «Elektrifizierungsidee» ein definitiver Entscheid geworden ist. «Wir konnten es nicht verantworten, auch im Jahr 2022 noch Dieselbusse zu bestellen, die dann noch einmal 15 Jahre unterwegs sind. Schliesslich tragen wir eine Verantwortung für die Lebensqualität in der Region. Darum wollen wir leiser unterwegs sein und weniger CO2 ausstossen», begründet Kalt den mutigen Entscheid, voll auf Elektrobusse zu setzen. Die RVBW sind einer der ersten Verkehrsbetriebe in der Schweiz, die sich für diesen Weg entschieden haben.
Knapp zwei Jahre später – im Dezember 2019 – wurde der erste Elektrobus auf der Linie 8 in den regulären Betrieb aufgenommen. Eine Premiere im Kanton Aargau. Die RVBW, die jährlich 14 Millionen Fahrgäste transportieren, haben in Bezug auf die Elektrifizierung also eine Pionierrolle eingenommen. «Aber wir haben dafür auch Lehrgeld bezahlt und viele Erfahrungen gesammelt», sagt Stefan Kalt. «Da wir eine Pionierrolle innehaben, konnten wir auch nirgends fachliche Expertise oder Erfahrungswerte einholen. Wir testen also quasi seit 2019 im laufenden Betrieb», erklärt Kalt.
Mittlerweile sind fünf Elektrobusse im Einsatz. In diesem Jahr kommen zehn weitere dazu. Die Umstellung von herkömmlichen Dieselbussen auf moderne Elektrobusse ist eine komplexe Angelegenheit. Es reicht bei Weitem nicht, einfach die neuen Modelle zu kaufen. Der Unterhalt der Fahrzeuge, die Einsatzplanung und die Überwachung der Elektrobusse sind beispielsweise komplett anders. «Die Elektrobusse sind sehr viel komplexer als die Dieselbusse», sagt Werner Fischer, der das Projekt «Elektrifizierung» leitet. «In der Werkstatt werden unsere Mitarbeitenden in Zukunft viel mehr mit Software und Programmierung arbeiten, statt sich die Hände schmutzig zu machen. Zudem müssen in der Leitstelle die Batterietemperatur und der Ladestand der Busse permanent überwacht werden. Das ist anspruchsvoll.» Um diese neuen Aufgaben bewältigen zu können, besuchten die 15 Mitarbeitenden in der Werkstatt entsprechende Weiterbildungen.
Auch wenn das Projekt noch immer am Anfang steht und grosse finanzielle und personelle Aufwände mit sich bringt, ist für Stefan Kalt klar: «Wir haben den Entscheid, konsequent auf Elektrobusse zu setzen, keine Sekunde bereut. Wir sind felsenfest davon überzeugt, dass dies der richtige Weg ist. Für uns ist die Elektrifizierung längst viel mehr als ein Projekt. Sie ist zur Philosophie des gesamten Unternehmens geworden.»
Bei den RVBW müssen alle 130 Busfahrerinnen und Busfahrer die neuen Elektrobusse lenken können. Dafür haben sie eine Einführung erhalten – vor allem damit das Laden an den Senk-Pantografen reibungslos funktioniert. «Die Elektrobusse haben zwar ein paar Knöpfe mehr im Cockpit, aber sind sehr viel angenehmer zu fahren. Ich lenke definitiv lieber Elektrobusse», sagt Trajan Beroski, der an diesem Nachmittag auf der Linie 8 unterwegs ist.
Beroski kann sich freuen. Im Verlauf dieses Jahres werden zehn weitere Elektrobusse in Betrieb genommen. Wenn auch von einem anderen Hersteller. Diese kommen auf den Linien 3, 10 und 12 zum Einsatz. Dafür sind jedoch keine weiteren Senk-Pantografen nötig. Denn diese zehn Elektrobusse sind sogenannte Depotlader und nutzen eine andere Technologie zum Laden ihrer Batterien. Sie werden nicht während dem Betrieb geladen, sondern über Nacht im Depot. Dank den neuen Elektrobussen werden die RVBW zum Ende des Jahres bereits einen Viertel ihrer Busse elektrifiziert haben. Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur kompletten Elektrifizierung.